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Veranstaltungen

Die Ukraine-Krise und die nationalistische Sackgasse

Dienstag, den 10.06.2014, 19.00 Uhr
DGB-Haus Duisburg, Franz-Wieber-Saal
Stapeltor 17-19, Duisburg 47051
Veranstaltung der GEW Fachgruppe Hochschule und Forschung


Brennpunkt Nah-Ost: Zwischen Friedensprozess und Rojava-Revolution

Reisebericht von Dr. Nikolaus Brauns, Historiker und Journalist
Freitag, den 14. Februar 2014, 19 h
im Linken Zentrum, Elsässer Str. 19, 46045 Oberhausen
Es laden ein:
Gesprächskreis Werner Wachner, Kurdischer Verein Rojava, DIE LINKE KV Oberhausen
Eine Ukraine wie die Schweiz
Viele Lohnabhängige in Deutschland und anderswo fürchten zurecht die wachsende Kriegsgefahr in der Ukraine. Die Angst wird von einem Wirbel der bürgerlichen Medien und PolitikerInnen angefacht, die wie US-Präsident Biden von einem unmittelbar bevorstehenden russischen Angriff schwätzen.
Die Ukraine-Politik Deutschlands, der EU, der USA und Russlands ist von Einmischung, diplomatischen Winkelzügen, offener Gewalt geprägt. Deutschland möchte seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland nicht gefährden. Die USA will den russischen Einfluss aggressiv zurückdrängen, hofft Russland letztendlich auflösen und kolonialisieren zu können. Russland will jedoch seinen östlichen Einflussbereich nicht kampflos aufgeben.
Die rechtsradikale ukrainische Regierung setzt auf westliche Waffenlieferungen und NATO-Truppen, sofortige Sanktionen gegen Russland wie dessen Hinauswurf aus dem  internationalen Zahlungssystem Swift und die Verhinderung der Gaspipeline Nord Stream 2. Die Kriegstreiber sitzen auch in Kiew.
Die vom Westen gepredigte „Souveränität und Unverletztbarkeit der Grenzen“ der Ukraine bedeutet: militärische Rückeroberung der Gebiete Luhansk und Donezk, in der die russische Minderheit in der Mehrheit ist. Dafür wird die Ukraine von den NATO-Staaten aufgerüstet.
Obwohl die USA und die EU nach 1989 von einem friedlichen Zusammenleben mit Russland gesprochen hatten, dehnten sie ihren Einfluss immer weiter nach Osten aus. Deutschland setzt auf die Ostererweiterung der EU, die USA auf die der NATO. Ältere Lohnabhängige hatten von Anfang an die Befürchtung, dass die vergangene Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und nicht-kapitalistischer Sowjetunion nur einer frischen Konkurrenz zwischen alten imperialistischen Staaten und den neuen imperialistischen Wettbewerbern Russland und China Platz machen wird. Da stehen wir heute. Selbst Litauen hat einen Privatkrieg mit China über Taiwan vom Zaun gebrochen.
Indem die westlichen Großmächte die Ukraine auf ihre Seite zogen, haben sie sich auf allen Ebenen in die Belange einer selbstständigen Ukraine eingemischt. Die sog. ´Unabhängigkeit der Ukraine` ist nur eine neue Form der Abhängigkeit – die vom westlichen, neoliberalen Kapitalismus.
Jede Form der Gewalt und jede der massiven Waffenlieferungen an die Ukraine ist zur Lösung eines Konfliktes ungeeignet.
Das Recht auf Selbstbestimmung
Wer dem ukrainischen Volk als einer vormals unterdrückten Nationalität das Recht auf Lostrennung von Russland einräumt, verfällt nur dann nicht in Zynismus, wenn er das gleiche Recht auf Lostrennung auch jeder anderen nationalen Minderheit innerhalb der Ukraine zuerkennt: den RussInnen, den UngarInnen, den RumänInnen usw. Die sog. ´Verteidigung der Souveränität` der Ukraine durch Deutschland, die EU und die USA tritt das Selbstbestimmungsrecht der dortigen nationalen Minderheiten mit Füßen.
Als MarxistInnen treten wir für das Selbstbestimmungsrecht der nationalen Minderheiten ein bis hin zum Recht auf Lostrennung. Diese Minderheiten sollen allein darüber bestimmen, ob sie im ukrainischen Staat verbleiben oder ob sie sich abspalten wollen. Der westliche Imperialismus verteidigt dagegen die Unantastbarkeit der Grenzen der Ukraine vom Zeitpunkt ihrer Unabhängigkeit. Doch eine Föderation auf freiwilliger Grundlage z.B. der Krim mit der Ukraine ist ohne das Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Lostrennung nicht möglich.
Es ist natürlich keine positive Lösung, würde sich jede noch so kleine Minderheit einen eigenen Staat geben. Unser Modell ist das einer umfassenden Autonomie der nationalen Minderheiten in einem bestehenden Staat, die sich selbst verwalten, ihre eigenen Institutionen allgemein, gleich und geheim wählen und deren Rechte gesetzlich geschützt sind. Dafür braucht es keineswegs den Sozialismus, sondern eine solche Lösung ist auch innerhalb des Kapitalismus möglich. Das ist etwa das Modell der neutralen Schweiz.
Die Einheit der ArbeiterInnenklasse
Für uns steht die nationale Frage nicht über dem Klassenkampf. Vor dem bürgerlich-demokratischen Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Nationalitäten zählt die politische Selbstständigkeit der ArbeiterInnenklasse innerhalb einer Nation. Sie beinhaltet die Einheit aller ArbeiterInnen jeder Nationalität innerhalb eines Landes im Kampf für ihre Klasseninteressen.
Die Ukraine hat im Donbass eine bedeutende ArbeiterInnenklasse mit einer großen internationalen Tradition, die heute auf beide Seiten der Waffenstillstandsgrenze aufgeteilt ist. Wir treten für die Vereinigung aller ArbeiterInnen über die Grenzen hinweg ein.
Dieser Schulterschluss ist nur vorstellbar, wenn z.B. die Mehrheit der ukrainischen StahlarbeiterInnen auf der Kiewer Seite das Recht der russischen Minderheit in der Ostukraine auf Selbstbestimmung bis hin zur Lostrennung anerkennt. Umgekehrt sind gemeinsame Organisationen nur denkbar, wenn z.B. die Mehrheit der russischen StahlarbeiterInnen in Donezk den Zusammenschluss mit ihren ukrainischen KollegInnen auf der anderen Seite der Grenze fordert, statt dem Separatismus nachzulaufen. Die ArbeiterInnen können nur dann ihre jeweilige politische Unabhängigkeit bewahren, wenn sie einen von der ukrainischen bzw. russischen Bourgeoisie entgegengesetzten Standpunkt einnehmen.
In der BRD ist und bleibt es die Aufgabe der ArbeiterInnenklasse, alle Interessen und Machenschaften der Regierung SPD-Grüne-FDP zu denunzieren, die Öl in das ukrainische Feuer gießen.

Boykottiert aller Waffenlieferungen in die Ukraine!
BRD raus aus der NATO! NATO raus aus der BRD!
ProletarierInnen aller Länder vereinigt euch!

RIR, 14.02.2022


Welche Haltung zu den Ereignissen in der Ukraine?

Niemand in der ArbeiterInnen- und linken Bewegung der BRD kommt um eine Positionierung zu den Ereignissen in der Ukraine herum. Sie fällt um so schwerer, je weiter mensch vom Geschehen entfernt ist und die dortigen Sprachen nicht spricht.

Am 2. Mai 2014 wurden in Odessa über vierzig Menschen durch einen rechten, nationalistischen und faschistischen Mob ermordet, die das Gewerkschaftshaus angriffen und abbrannten. Die Polizei griff nicht ein. Der Gouverneur Odessas nahm die Mörder in Schutz. Alle Ermordeten waren Bürger Odessas. Die Überlebenden des Massakers wurden nach ihrer Rettung verhaftet und sitzen noch immer im Gefängnis. Von den Mördern wurde niemand verhaftet und angeklagt. Die Morde von Odessa zeigen deutlich, wie sich die Ereignisse in der Ukraine zugespitzt haben und gegen wen sie sich richten. Es gibt nicht nur einen Bürgerkrieg gegen die nationale Minderheit der RussInnen, sondern auch einen Krieg gegen die Linke und die ArbeiterInnenbewegung.

Wogegen protestierte die Maidan-Bewegung?
Es ist nicht immer einfach, eine Massenbewegung wie die des Maidan richtig einzuschätzen. Mit bis zu einer 1 Million TeilnehmerInnen war sie zunächst sehr vielfältig und umfasste linke, rechte und unorganisierte Menschen. Die Rechten und Faschisten waren anfangs eine kleine, doch gut organisierte Minderheit. Ungehindert konnte ein großes Bild des Faschisten Bandera neben der Bühne hängen. Aus dem herrschenden Blick hiesiger Medien gingen die Protestierenden für das Assoziierungsabkommen mit der EU auf die Straße, dem die Regierung Janukowytsch im Wege stand. Das ist noch heute die Sicht vieler Linker. Im Bewusstsein vieler dortiger TeilnehmerInnen richteten sich die Proteste jedoch vor allem gegen „die Oligarchen“. Der „Kompromiss“ vom 21. Februar führte zu einem drastischen Rückgang der Maidan-Bewegung von mehreren hunderttausend bzw. zeitweise 1 Million Menschen auf ein paar Zehntausend. Was übrig blieb, war der rechte Flügel der Maidan-Proteste, die faschistischen und nationalistischen Kräfte der Massenbewegung, die am 22. Februar zur Machterübernahme aufriefen – und damit Erfolg hatten.

Eine „politische Revolution“ von rechts?
Eines der wichtigsten Ergebnisse des 22. Februar war, dass er den Oligarchen nicht weniger, sondern mehr Einfluss gab: Serhij Taruta, 2,7 Milliarden US$ schwer, wurde Gouverneur im Oblast Donezk; Igor Kolomojsky, mit einem Vermögen von ca. 5 Mrd. US$, wurde Gouverneur im Oblast Dnepropetrowsk. Während in den hiesigen bürgerlichen Medien, die DemonstrantInnen „erfolgreich“ waren, weil jetzt das Assoziierungsabkommen mit der EU erneuert wurde, ist das genaue Gegenteil von ihrem ursprünglichen Anliegen – die Macht der Oligarchen einzuschränken oder zu brechen – erreicht worden. Die rechten, nationalistischen und faschistischen Parteien sind die Speerspitze der Reaktion und sitzen in der Regierung. Die linken Organisationen wurden in die Illegalität gedrängt. Dies gilt nicht nur für die Westukraine, wo die Büros der Kommunistischen Partei von Faschisten besetzt und verwüstet wurden, sondern auch für Charkow, wo die antikapitalistische Organisation Borotba nach einer Attacke auf ihr Hauptquartier in den Untergrund gehen musste. Vor allem der Angriff auf das Gewerkschaftshaus in Odessa und die Ermordung von Dutzenden und Aberdutzenden Menschen, manche sprechen von weiteren 60 Ermordeten, zeigt, wie die Lage der ArbeiterInnenbewegung ist. Der bürgerliche Parlamentarismus bietet der ArbeiterInnenbewegung gegenüber anderen bürgerlichen Staatsformen (Militärdiktatur, Faschismus usw.) den Vorteil legaler proletarischer Stützpunkte (ArbeiterInnenparteien, Gewerkschaften, linke Zeitungen und Verlage, Genossenschaften, ArbeiterInnen- Kultur- und Sportvereine usw.). Wenn diese Stützpunkte der ArbeiterInnenbewegung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft durch ein neues Regime zerschlagen werden (Illegalität der linken Organisationen, Zerstörung des Gewerkschaftshauses in Odessa und Ermordung von GewerkschafterInnen und Linken; gewaltsame Unterdrückung von nationalen Minderheiten), dann hat anscheinend eine „politische Revolution“ stattgefunden, die mit einer Konterrevolution verdammt viel Ähnlichkeit hat, und die eine neue, andere Staatsform geschaffen hat. Der Bürgerkrieg wird von Seiten der Kiewer Zentralregierung nicht nur gegen den „Separatismus“ in der Süd- und Ostukraine geführt, sondern auch als Krieg gegen die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen.

Wie RSB , isl und NAO die Ereignisse einschätzen
Einen Bruch in der Bewegung des Maidan um und nach den Ereignissen vom 21./22. Februar sehen weder der RSB noch Angela Klein (isl). Der RSB erklärte am 27.4.: „Ohne Zweifel ist die Maidan-Bewegung sehr heterogen und in der zugespitzten Konfrontation, die zum Machtwechsel führte, konnten sich rechte nationalistische und faschistische Kräfte (die Partei Swoboda und vor allem der offen faschistisch auftretende Rechte Sektor) weiter aufbauen und gewisse Machtpositionen erringen. Aber sie sind nicht repräsentativ für die gesamte Maidan-Bewegung (…) Aus dieser Perspektive sind die Maidan-Proteste, einschließlich ihrer militanten Spitzen, Ausdruck einer allgemeinen, globalen Bewegung gegen die Ausplünderung lokaler Bevölkerungen durch das internationale Kapital“. Die „militanten Spitzen“ der Maidan-Bewegung – waren das nicht die Faschisten / Banderisten? – werden hier zum „Ausdruck einer allgemeinen, globalen Bewegung gegen“ „Ausplünderung“. Angela Klein schrieb in der SOZ vom April 2014: „Politisch hat den Maidan niemand kontrolliert (…) Falsch wird es nur da, wo der politische Einfluss der Faschisten überhöht wird (real messen kann man ihn nicht an der Zahl ihrer derzeitigen Minister in der Übergangsregierung; real messen kann man ihn nur nach den kommenden Wahlen)“ 1 . Um den faschistischen Einfluss zu messen, müssen nicht der Bürgerkrieg, die zerstörten Büros der KPU und von Borotba usw. herhalten, sondern … Wahlen! Der Wechsel in der Ukraine zu einem anderen Regime wird nicht wahr genommen. Noch weniger hat ihn die IV. Internationale verstanden. In ihrer Erklärung vom 25.2.2014 heißt es: „Eine Woche der blutigen Gewalt hat dazu geführt, dass sich der Standpunkt der Protestierenden durchsetzte und die Forderung nach sofortigem Rücktritt von Präsident Janukowytsch erfüllt werden musste. Er wurde nicht durch einen ́Staatsstreich` gestürzt“. Genau das ist jedoch passiert: Die Faschisten und Nationalisten und der von ihnen kontrollierte rechte Flügel der Maidan-Bewegung riefen am 22. Februar erfolgreich zum Staatsstreich auf, sie bekamen maßgeblichen Einfluss auf die neue Regierung, sie verschafften den Oligarchen noch mehr Macht, sie drängten die Linken und die Gewerkschaften durch Verfolgung bis zum Massenmord in die Illegalität und sie stürzten das Land in einen Bürgerkrieg. Das soll kein „Staatsstreich“ gewesen sein? Hat sich etwa nur der „ Standpunkt der Protestierenden“ durchgesetzt? Solche Fehleinschätzungen der Ereignisse begeht die NAO nicht. Sie hält richtig fest: „Die ́Revolution in der Ukraine` entpuppt sich als reaktionärer Putsch (…) Die ersten Opfer sind schon heute die Arbeiterklasse und die Linke in der Ukraine“!

Das polnische Beispiel von 1926
Der RSB sagt „Nein zum Lagerdenken“, Gen. Angela argumentiert gegen den „Standpunkt des antifaschistischen Kampfes“, die die Mehrheit der Linken in der BRD auf die Seiten Putins treibe. Die Kritik mag richtig sein. Doch unabhängig vom „Lagerdenken“ ist längst nicht jede Massen-Bewegung unterstützenswert. Eine politische Fehleinschätzung kann jemand leicht ungewollt ins falsche „Lager“ treiben, selbst dann, wenn sie versucht, von einer klassenmäßigen Analyse der Bewegung auszugehen (was weder RSB, noch A.K., noch Inprekorr leisten). Als Beispiel für die katastrophale Fehleinschätzung einer Massenbewegung sei hier der Militärputsch bzw. die „Bewegung“ von Marschall Piłsudski 1926 in Polen gegen die reaktionäre Regierung Witos angeführt: Nachdem sich ein Teil der polnischen Truppen unter das Kommando Piłsudskis gestellt hatte, kam es im Mai 1926 zu tagelangen Kämpfen mit regierungstreuen Einheiten. Den Ausschlag gab, dass Piłsudskis PPS zum Generalstreik aufrief, den die ArbeiterInnenbewegung befolgte. Witos trat zurück und Piłsudski & Co. übernahmen die Macht. Auch die Kommunistische Partei Polens hatte sich gegen die Regierung Witos gestellt und den Generalstreik befürwortet. Der KPP-Leiter Warski erschien im Hauptquartier Piłsudski, um ihm seine Unterstützung zu versichern. Im damaligen Polen baute die „soziale Bewegung“ nicht nur auf das Kleinbürgertum, sondern vor allem auf die ArbeiterInnenklasse und den Generalstreik. „Der Arbeiterklasse und ihren Parteien kam es so vor, als wäre das der Anfang der ökonomischen und sozialen Expropriation“ (Isaac Deutscher). Warski sah in Piłsudskis Putsch den Beginn der „revolutionär-demokratischen Diktatur“. Die KPD-Führung um Thälmann begrüßte den Sturz der Regierung Witos, die die Großbourgeoisie repräsentiere, durch Piłsudski, der für die Kleinbourgeoisie stehe. Die oppositionellen linken Kommunisten in der KPD wandten sich vehement gegen diese katastrophale Taktik. Trotzki verglich die Bewegung Piłsudskis sogar mit der Mussolinis: „Beide Strömungen haben unzweifelhaft gemeinsame Züge: ihre Stoßtruppen rekrutieren sich aus dem Kleinbürgertum; Piłsudski wie Mussolini arbeiten mit außerparlamentarischen, offen gewalttätigen Mitteln, mit den Methoden des Bürgerkrieg; beide waren nicht um den Sturz, sondern um die Rettung der bürgerlichen Gesellschaft bemüht. Während sie das Kleinbürgertum auf die Beine gebracht hatten, vereinigten sie sich nach der Machteroberung offen mit der Großbourgeoisie“ 2 . Über den „Maifehler“ sagte I. Deutscher: „Aber es gibt Fehler, die in ein paar Tagen, oder sogar in ein paar Stunden begangen werden, und die man nicht in Jahrzehnten wiedergutmachen kann. Der Maifehler war genau von dieser Sorte“ 3 . So einfach ist die Einschätzung einer Massen-Bewegung, selbst wenn es sich um den erfolgreichen Generalstreik fast der gesamten ArbeiterInnenklasse handelt, also nicht. In der heutigen Ukraine wurde eine bürgerliche, reaktionäre Regierung durch eine Bewegung gestürzt, die eine noch reaktionärere Regierung mit faschistischer Beteiligung an die Macht brachte. Wir kontrovers auch immer die Einschätzung der ursprünglichen Maidan-Bewegung war und ist – aus ihr ist längst eine andere, reaktionäre, nationalistische Bewegung hervorgegangen. Ein Flügel der Massen-Bewegung unterstützt unter Kontrolle der Faschisten den Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine und führt einen Krieg gegen die ArbeiterInnenbewegung.

Welche Taktik zur Bewegung des Maidan?
Gerade weil die Maidan-Bewegung sozial und politisch so heterogen und vielfältig war, konnten die kampfbereitesten, aktivsten und am straffsten organisierten Elemente, die Nationalisten und Faschisten, eine so große Rolle in ihr spielen. Den Wechsel der Ereignisse vom 21./22. Februar, den RSB, isl und IV. Internationale nicht begreifen, versteht die NAO-Mehrheit ebenfalls nicht. Überschätzen die Einen die Heterogenität, Unabhängigkeit und Spontanität der Massenbewegung und unterschätzen die Einflussnahme der Rechten, Nationalisten, Faschisten und Banderisten auf dem Maidan, sowie die tausend Fäden aus der EU und den USA zur Bewegung, so sieht die Mehrheit der NAO die Massen-Bewegung des Maidan von Anfang an als reaktionär an. Demnach „(stand) die Oppositionsbewegung um ´Euromaidan` ihrerseits von Beginn an im Zeichen der ´prowestlichen` Oligarchen. Sie war nie eine fortschrittliche Bewegung (…)“ und „von Beginn“ „ukrainisch-nationalistisch“. Es protestierten also bis zu eine 1 Million Menschen, viele davon gegen die Oligarchen, aber die Bewegung stand „im Zeichen“ der Oligarchen? Wie passt das zusammen? Sicherlich haben Oligarchen die Maidan-Bewegung mitfinanziert. Aber ist es für RevolutionärInnen und Anti-KapitalistInnen nicht auch wichtig, was die Motive von Hunderttausenden Demonstrierenden vor dem 22.2. waren? Die NAO bezieht im Unterschied zu RSB, isl und IV. Internationale eine grundlegend richtige Haltung zu den Ereignissen am 22. Februar, verlängert den Einfluss der Rechten und Faschisten allerdings so weit nach vorn, dass die Massenbewegung des Maidan „von Beginn an“ reaktionär und nationalistisch war (war sie auch „von Beginn an“ faschistisch? so weit geht die NAO dann doch nicht). Die Schlussfolgerung der NAO-Mehrheit kann nur lauten, dass es von Anfang an falsch gewesen sei, in der Massenbewegung des Maidan mitzuarbeiten. Das Gegenteil meint die IV. Internationale: „(Wir) unterstützen die sozialen und politischen Kräfte, die versucht haben, innerhalb dieser Bewegung eine linke Opposition aufzubauen. Sie haben es abgelehnt, außerhalb der Bewegung zu bleiben oder sie mit der extremen Rechten gleichzusetzen“ (Erklärung zur Ukraine, IK der IV. Internationale). Die Taktik der antikapitalistischen und revolutionären Linken in der Ukraine war differenzierter: Borotba soll sich zu Beginn der Massenbewegung am Maidan beteiligt haben, während Sergej Kiritschuk auf Nachfragen meint, dass es nur AktivistInnen von Borotba im Rahmen von unabhängigen Gewerkschaften waren. Sie haben die Bewegung nach Angriffen der Rechten und Faschisten verlassen; Die „Linke Opposition“ (GASLO) ist auf dem Maidan für ein „solidarisches Europa“ aufgetreten, wurde aber von den Faschisten vertrieben. Sie hat trotzdem versucht, in der Bewegung des Maidan illegal mitzuwirken. Sowohl die eine wie die andere Taktik mag richtig gewesen zu sein, wobei bei der Beurteilung der „richtigen Taktik“ aus der Ferne vor allem Zurückhaltung angebracht ist. Falsch ist es jedoch, noch Wochen nach dem 22. Februar von der Notwendigkeit der Mitarbeit in der Maidan-Bewegung zu reden.

Einfluss von EU und USA
Wer den Bruch vom 21./22. Februar nicht versteht, kann auch in Bezug auf die EU und die BRD zu falschen Einschätzungen kommen. Der rechte Flügel der Maidan-Bewegung unter Kontrolle der Faschisten, Nationalisten und Banderisten, war es, der am 22. Februar putschte. Das war nicht das Werk der EU unter Steinmeier. Vielmehr wurde damit die Vereinbarung, die sie am 21. Februar mit Janukowytsch und Teilen der offiziellen Opposition ausgehandelt hatten, über den Haufen geworfen. Erst danach haben sie die Tatsachen und die neue Regierung anerkannt. Die NAO-Mehrheit sieht jedoch in der Politik der EU und der BRD eine widerspruchslose, gezielte Strategie: „Die EU-Mächte – u.a. Deutschland – hingegen forcieren die Integration der Ukraine in ihre Einflussspähre“ und „Um ihre jeweilige Position durchzusetzen, setzen Russland und Deutschland/EU zur Zeit auf Verschärfung der Konfrontation“. Warum sollte die EU erst am 21.2. für einen Kompromiss zwischen bürgerlicher Opposition und Janukowytsch sorgen, um dann einen Tag später den Putsch zu bewerkstelligen? Die EU kann schon deshalb kein Interesse daran haben, „die Integration der Ukraine in ihre Einflusssphäre (zu) forcieren“, weil diese nicht einfach auf parlamentarischem Wege zu haben ist. Wer meint, dass die EU den Bürgerkrieg in der Ukraine will oder die dt. Unternehmerverbände ihn wollen, liegt daneben. Entweder die Rechten, Nationalisten, Faschisten und Banderisten haben eigenständig, vom rechten Flügel der Maidan-Bewegung aus, den Staatsstreich initiiert oder sie wurden dabei von den USA unterstützt, um eine friedlich-parlamentarische „Integration der Ukraine“ in die EU zu torpedieren. Doch Illusionen über die Interessen der USA und der EU sind fehl am Platz. Wer früher glaubte, mit dem Zusammenbruch des Stalinismus sei die Konfrontation West – Ost beendet, weil die Systemkonkurrenz weggefallen sei, wird durch die Kämpfe in der Ukraine eines Besseren belehrt. Auch dürfte die Debatte darüber, ob sich die marxistische Kritik nicht gegen den „Kapitalismus“, statt nur gegen den „Neoliberalismus“ richten müsste, neuen Auftrieb erhalten. Denn US- und EU-Imperialismus beschränkten sich nicht auf die Bekämpfung der bürokratisierten, nicht-kapitalistischen Übergangsgesellschaften. Sie bekämpfen auch jede kapitalistische Großmacht, deren Modell nicht dem des neoliberalen Kapitalismus entspricht. Der permanente Kampf von EU und USA – mal durch offene Konfrontation, mal auf dem Weg integrativer Auflösungsversuche – wird erst beendet sein, wenn China und Russland zerschlagen bzw. übernommen worden sind. Darüber sollte es nach den Ereignissen in der Ukraine keine Zweifel mehr geben. Trotzdem schafft es die Inprekorr, die Vorbereitung und Unterstützung von USA und EU für die Ereignisse des Maidan zu ignorieren 4 , obwohl die USA bekanntlich über 5 Mrd. US$ in die Pflege der politischen Landschaft pumpte. Auch überzeugt es nicht ganz, wenn „Konflikte zwischen den Oligarchen“ (RSB) oder Gegensätze der einen zu „einer anderen, pro-westlichen Oligarchenclique“ aufgemacht werden. Das Einfrieren russischer Vermögen im Ausland hat allen Oligarchen der Ukraine gezeigt, wo der Hammer hängt. Die Drohung mit der Enteignung zieht auch dann, wenn sie vom Imperialismus erfolgt.

„Trennung von Arbeiterklasse und Sozialismus“
Es fällt auf, dass die genannten Texte von Angela Klein, des RSB und der IV. Internationale kaum oder gar keinen Bezug auf die ArbeiterInnenklasse in der Ukraine nehmen. Das liegt nicht etwa daran, dass es in der Ukraine keine ArbeiterInnenklasse geben würde. Eigentlich ist sie mit 15 Mio. Lohnabhängigen und der Bedeutung der Schwerindustrie im Osten der Ukraine nicht zu übersehen. Immerhin stand die Ukraine 2012 in der Welt-Stahlproduktion an zehnter Stelle, in der Welt-Eisenerzföderung 2011 an sechster Stelle und bei der Welt-Steinkohleförderung 2009 an elfter Stelle. Der Bezug zu ihr fehlt, weil sich die ArbeiterInnenklasse politisch eigenständig weder in der Ukraine noch in der BRD regt. Die Ausnahme der Proteste von ein paar Hundert Bergleuten in Kriwoi Rog am 11. Mai bestätigen nur die Regel. Dem gegenüber bleibt festzuhalten: Die einzige gesellschaftliche Kraft in der Ukraine, die eine emanzipatorische Lösung der sozialen und nationalen Probleme der Gesellschaft durchsetzen könnte, ist die ArbeiterInnenklasse. Das ist unser „Lager“! Wer deshalb, weil die ArbeiterInnenklasse in der Ukraine sich wenig regt, auf andere Akteure abhebt, wird zu falschen Schlussfolgerungen neigen: Die politische Überschätzung der Bewegung des Maidan ist eine davon; die Überschätzung der Möglichkeiten der linken Organisationen und der Bewegung in der Ost-Ukraine eine andere. So wird in der Erklärung der NAO der Einfluss der Organisation Borotba stark übertrieben: „Die Aktivität von Organisationen wie Borotba (…) zeigt, dass es eine Alternative gibt zu den konkurrierenden Oligarchen, ihren Parteien und ihren Herrschaftsansprüchen (…) zwischen den beiden Lagern konkurrierender Nationalisten (…) zu Moskau, Berlin und Washington“. Zu wünschen wäre es ja, dass Borotba für die Ukraine eine „Alternative“ wäre wie z.B. die PYD in Rojava für Syrien. Doch leider scheint Borotba eher eine „Alternative“ zu sein wie die hiesige revolutionäre Linke für die BRD. Gleichzeitig meint die NAO-Erklärung: „Wo im Osten Rathäuser gestürmt werden und Massenerhebungen stattfinden, müssen auf dieser Basis demokratische Räte gebildet werden, die die Bewegung leiten und bewaffnete Selbstverteidigungseinheiten aufbauen“. Sicherlich ist es eine Frage der bloßen Existenz der Gewerkschaftsbewegung und der Linken, sich gegen Übergriffe der Faschisten zu verteidigen und entsprechende Strukturen zu bilden. Nur wie passt diese Situation der Illegalität und der völligen Defensive mit „Massenerhebungen“ und dem Aufruf zur Bildung von Räten zusammen? In der Ukraine finden wir ein klassisches Beispiel für die Trennung von „Arbeiterklasse und Sozialismus“, um auf einen Begriff Kautskys und Lenins zurückzugreifen, d.h. der Trennung der sozialistischen, revolutionären Organisationen von der real existierenden Arbeiterbewegung (die auch auf die BRD zutrifft). Eine solche Trennung begünstigt leider eine Sichtweise, dass manche MarxistInnen sich nicht mehr auf die „ArbeiterInnenklasse“, sondern auf die „soziale Bewegung“ oder gar nur auf die linken Organisationen beziehen – ob in der BRD oder in der Ukraine. Die Bezugnahme auf die ArbeiterInnenklasse ergibt aber nur dann einen Sinn, wenn sie mit der Perspektive einer sozialistischen Ukraine verbunden ist. Ohne sozialistische Perspektive, wie auch immer formuliert und konkretisiert, bleibt alles Schall und Rauch. Diese Perspektive in der Ukraine aufrechtzuerhalten, ist ein Verdienst der linken Organisation Borotba. Für den russischen Revolutionär Leo Trotzki konnte im Zeitalter des Imperialismus die „ukrainische Frage“ nur durch die Arbeiterklasse gelöst werden. Mit dem gesellschaftlichen Akteur verband er das Ziel eines anderen Gesellschaftssystems. Für Trotzki konnte nur eine vereinigte, sozialistische Ukraine die verschiedenen dort lebenden Nationalitäten befreien und ihr gleichberechtigtes Zusammenleben garantieren. Wie heute eine solche sozialistische Perspektive zu konkretisieren ist, um von der ArbeiterInnenklasse aufgegriffen zu werden, wird sich zukünftig zeigen. Im Unterschied zu den Texten von Angela Klein, RSB und IV. Internationale übersieht die Erklärung der isl vom 10.5.2014 die Bedeutung der ArbeiterInnenklasse der (Ost-)Ukraine nicht, begrenzt ihr Aufgaben jedoch auf demokratische und soziale Verbesserungen. Die Bekämpfung des Nationalismus obliege „eine(r) soziale(n) Bewegung“ und die des Faschismus „eine(r) landesweite(n) antifaschistische(n) Bewegung“. Die isl schlägt der ArbeiterInnenbewegung der Ukraine ein komplettes Programm vor. Das muss im Zeichen des Internationalismus und der notwendigen internationalen Diskussion ja nicht falsch sein. Einige Forderungen, d.h. die der Linken Opposition in der Ukraine, sind durchaus beachtenswert. Dass ein Kernpunkt des Programms der isl ausgerechnet für die Ukraine wegen „ihr(es) natürliche(n) Reichtum(s)“ „einen eigenständigen Entwicklungspfad“ sieht, als „wirtschaftlich und außenpolitisch unabhängiges Land“ mit „Neutralität“ zwischen den imperialistischen Großmächten verwundert jedoch für GenossInnen, die oft genug erklärt haben, dass die Theorie vom „Sozialismus in einem Land“ im Kern nationalistisch ist. Dem isl-Programm für die Ukraine fehlt jede sozialistische Vision, obwohl bekanntermaßen eine Organisation wie Borotba selbst unter den schwierigen Bedingungen der Illegalität eine sozialistische Perspektive propagiert. Der isl nach soll sich die ArbeiterInnenbewegung der Ukraine zunächst für eine neutrale, einheitliche, demokratische, soziale und ökologische Ukraine einsetzen; kapitalistisch, aber ohne Oligarchen und ausländisches Kapital. Selten wurde ein Etappenmodell eindeutiger formuliert. „Eine zentrale Voraussetzung“ zur Schaffung des entsprechenden „wirtschaftlichen Unterbau(s)“ der Ukraine sieht die isl in der „Abkehr der fossilen Wirtschaft“. Während die GenossInnen der Linken Opposition auf Aktionen der Bergarbeiter in Kriwoj Rog erklären, die „internationale linke Bewegung sei bereit, die Bergleute zu unterstützen“ (SOZ Juni 2014, S. 17), fordert zur gleichen Zeit die isl auf, die Zechen in der Ukraine zu schließen. Eine Unterstützung hat sich GASLO sicherlich anders vorgestellt.

„Soziale“ oder „nationale Frage“?
Wie unterschiedlich auch immer die Entwicklung in der Ukraine eingeschätzt wird, über eines dürfte weitgehend Einigkeit herrschen: In der Westukraine sind viele Menschen gegen jeden Einfluss Russlands; in der Ostukraine fürchten viele Menschen die Faschisten, Nationalisten, Banderisten und den Ausverkauf an die USA und die EU. Beide Seiten flüchten in den Nationalismus: In der Westukraine ist es der Nationalismus der Swoboda, des Rechten Sektors d.h. der Banderisten; in der Ostukraine ist es der separatistische bürgerliche Nationalismus z.B. in der angeblichen „Volksrepublik Donezk“. Finden westukrainische Nationalisten ihre Verbündeten in den USA und der EU, so suchen die ostukrainischen Nationalisten ihn in Putins Russland, das seine eigenen imperialen Interessen durchzusetzen versucht. Zwar wurde der nationalistische Rummel durch die Oligarchen gefördert, um die sozialen Forderungen in den Hintergrund zu drängen. Doch die „nationale Frage“ in der Ukraine kann nicht ignoriert werden, indem z.B. auf die Wichtigkeit der sozialen Frage verwiesen wird 5 . Auch Gen. Angela meint, dass die soziale Frage in den Mittelpunkt gehört. So sieht es auch die isl, die in ihrer Erklärung nicht zwischen den nationalen Unterdrückern und den nationalen Unterdrückten unterscheidet. Auch der RSB setzt auf „das Herausarbeiten der sozialen Frage“. Doch leider „(lauert) der Nationalismus unterschiedlicher Ausprägung hinter jeder Ecke der komplexen Konflikte und Widersprüche in der heutigen Ukraine“ 6 . Auf eine politische Orientierung in der nationalen Frage wartet mensch vergeblich.

Die „nationale Frage“
Ein Prinzip des revolutionären Marxismus leninscher Prägung in der nationalen Frage ist die völlige Gleichberechtigung aller Nationalitäten. Davon kann heute in der Ukraine keine Rede sein, nicht nur, weil die russische Sprache nicht mehr als gleichberechtigt anerkannt ist, sondern weil überhaupt eine Staatssprache festgelegt wurde, womit Sprachen von Minderheiten, die keine „Staatssprachen“ sind, ausgegrenzt werden. Ein weiteres Prinzip in der nationalen Frage ist die Anerkennung des Rechtes auf Selbstbestimmung der Nationalitäten. Es verteidigt die Rechte der unterdrückten nationalen Minderheiten, so sie denn wollen, auf Autonomie oder auf eine Föderation oder auf Lostrennung. Demnach dürften in der Ukraine allein die nationalen Minderheiten z.B. der RussInnen, RuthenInnen, TartarInnen, UngarInnen, PolInnen und RumäninInnen darüber entscheiden, ob sie die Autonomie innerhalb der bestehenden Ukraine oder eine Föderation innerhalb der jetzigen Staatsgrenzen oder ihre Abtrennung wollen. Dieses Recht ist für die Faschisten, Nationalisten und Neoliberalen der ukrainischen Regierung unannehmbar.In ihrer Ablehnung werden sie von EU und USA unterstützt, was nur heißt, dass die imperialistischen Blöcke Druck auf die Ukraine ausüben, d.h. ihr Selbstbestimmungsrecht verletzen. Besonders heuchlerisch ist die Haltung des „Staates“ EU, in dem die Mitgliedsländer längst auf den Status von Provinzen herabgesunken sind, die aber nach wie vor an den alten Grenzen festhält und z.B. den BaskInnen beiderseits der Pyrenäen, den KatalanInnen, den BretonInnen, den IrInnen, den SchottInnen, den DänInnen Schleswig-Holsteins usw. verweigert, das Selbstbestimmungsrecht bis hin zur Lostrennung wahrzunehmen. Das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nationalitäten bis hin zur Lostrennung ist allerdings auch für Russland unannehmbar, weil es die Krimtataren und UkrainerInnen auf der Krim in Anspruch nehmen könnten. Das soll keineswegs heißen, dass die ArbeiterInnenbewegung in der Ukraine die Forderung nach Lostrennung z.B. der KrimtatarInnen und der RussInnen befürworten muss. Im konkreten Fall könnte sie auch für eine Autonomie oder eine Föderation eintreten, zumal die große Mehrheit der dort lebenden RussInnen keine Unabhängigkeit will, sondern Gleichberechtigung und Autonomie. Revolutionäre MarxistInnen sollten für ein drittes Prinzip in der nationalen Frage eintreten und die Einheit und politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnenbewegung in der Ost- und Westukraine – d.h. gemeinsame einheitliche Organisationen, Vereine usw. aller ArbeiterInnen – verteidigen: Dies würde nur gehen, wenn die ArbeiterInnenbewegung der Westukraine, d.h. der herrschenden Nationalität, nicht etwa das „Selbstbestimmungsrecht der Ukraine“, sondern das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten nationalen Minderheiten bis hin zur Lostrennung verteidigen würde. Täte sie dies nicht, würde sie ihre politische Unabhängigkeit aufgeben, indem sie in den Chor der Bourgeoisie der herrschenden Nationalität einstimmt. Dagegen sollte die ArbeiterInnenbewegung der unterdrückten russischen Nationalität der Ostukraine nicht etwa den Separatismus der russischen Massenbewegung der Ostukraine, sondern die gemeinsame Organisierung mit der ArbeiterInnenklasse der herrschenden ukrainischen Nationalität betonen. Täte sie das nicht, würde sie mit der Bourgeoisie der unterdrückten Nationalität übereinstimmen und damit ihre politische Unabhängigkeit aufgeben. In beiden Fällen würde die ArbeiterInnenklasse nur dann ihre politische Unabhängigkeit bewahren, wenn sie einen Standpunkt einnehmen würde, der dem der jeweiligen Bourgeoisie entgegengesetzt ist 7 . Lenin fand die Haltung der SDPuL Rosa Luxemburgs in der nationalen Frage zwar falsch. Aber er betonte auch, dass sie grundsätzlich auf der richtigen Seite der Barrikade stehe, da die SDPuL im zum Zarenreich gehörenden Polen einen Standpunkt einnahm, der im völligen Gegensatz zur polnischen Bourgeoisie stand. Das übersehen viele Linke heute.

Gegen die Kriegsgefahr protestieren!
Leider ist feststellen, dass in den meisten der genannten Texte die Gefahr eines Krieges zwischen den imperialistischen Großmächten USA, EU und Russland, die sich in die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in der Ukraine längst eingemischt haben und weiter hineingezogen werden können, ignoriert wird. Diese Kriegsgefahr weckt Befürchtungen bei einem Teil der Lohnabhängigen in der BRD. Nach dem Wegfall der Systemkonfrontation hatten viele Lohnabhängige friedliche Beziehungen zu Russland begrüßt. In ihrem Pazifismus steckt ein fortschrittlicher Kern. Sie empfinden die Ukraine-Politik der Bundesregierung als verlogen, unglaubwürdig, kriegstreiberisch und bedrohlich, weil ähnliche Proteste, wie sie von Merkel und Steinmeier in der West-Ukraine begrüßt wurden, von CDU/CSU-SPD in der Ost-Ukraine verdammt werden. An dieser Kritik gilt es anzuknüpfen. Es ist einen Versuch wert, gegen die drohende Kriegsgefahr zu protestieren. Wichtig ist die Kontaktaufnahme zu Mitgliedern von jüdischen Gemeinden in der BRD, von denen ein erheblicher Teil aus der Ukraine und aus Russland stammt. Bislang galten die Jüdinnen und Juden als unpolitisch, da sie hier fast nie demonstrierten. Viele sind konservativ, wenn nicht antikommunistisch eingestellt. Doch die Ereignisse in der Ukraine, die aufmerksam verfolgt werden, führen bei einer Minderheit zu einem Umdenken, denn es gibt große Befürchtungen über die dortige Entwicklung und das Aufleben des Faschismus und Nationalismus.

Die ArbeiterInnenbewegung und Linke in der Ukraine unterstützen
Trotz taktischer und wichtiger politischer Differenzen sollten die antikapitalistischen Organisationen Borotba und GASLO unterstützt werden 8 . Dass der DGB nicht einmal gegen den Angriff auf das Odessaer Gewerkschaftshaus und die Morde am 2. Mai protestiert hat, obwohl das Datum „2. Mai“ doppelten Anlass dazu geben würde, sollten wir nicht hinnehmen. Zu fordern ist eine gewerkschaftliche Untersuchungskommission im Rahmen einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission, wie es die Duisburger Resolution fordert, die auf der Veranstaltung vom 10.6. im DGB-Haus verabschiedet wurde. Revolutionäre Initiative Ruhrgebiet, 22.6.2014 1. In ihrer Stellungnahme vom 10.5.2014 geht die isl kaum auf die Bewegung des Maidan ein – vielleicht aus Rücksicht auf ihre Kontakte in der Partei Die Linke? 2. Leo Trotzki, Der einzige Weg, in: Schriften über Deutschland, Bd. 1, S. 357 f. 3. Isaac Deutscher: Die Tragödie des polnischen Kommunismus zwischen den Weltkriegen, Die Internationale, Sept. 1978, S. 75 f. 4. In der Inprekorr Mai-Juni finden sich vier Texte, von denen kein einziger die Unterstützung der USA und der EU für den Euromaidan auch nur erwähnt. Auch der NAO-Text spielt die Rolle der USA herunter vgl. das Kapitel „Imperialistische Brandstifter spielen Feuerwehr …“ 5. Das Programm der „Linken Opposition“ GASLO tut genau das. Hat sie eine eigenes Programm zur „nationalen Frage“? Vgl. GASLO, Sparen? – Zuerst bei den Oligarchen! In: Inprekorr Mai/Juni 2014, S. 25. 6. Larson/Stutar, Die Ukraine und die nationale Frage, Inprekorr Mai/Juni 2014, S. 27. 7. In diesem Punkt ist die Position der NAO nicht klar, die schreibt: „Der Kampf gegen die Zentralregierung muss daher auch mit der Ablehnung jeder imperialistischen Einflussnahme der Putin-Regierung verbunden werden“. Der Separatismus der Bewegung in der Ostukraine wird leider nicht abgelehnt. 8. Borotba befürwortet trotz der Erfahrungen von Tschernobyl (und jetzt von Fukushima) Atomkraftwerke.
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